Interviews und Gastkommentare
INTERVIEWS
WEITERBILDUNG • QUALIFIZIERUNG • FACHKRÄFTEBEDARF
Interview mit Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil MdB

1. Welchen politischen Stellenwert haben Weiterbildung und Qualifizierung für Sie in dieser Legislaturperiode?
Hubertus Heil: Die „drei großen D“, also Digitalisierung, Demografie und Dekarbonisierung verändern unsere Arbeitswelt schon jetzt. Die Dynamik dieser Treiber wird in den kommenden Jahren noch deutlich zunehmen und unsere Arbeitswelt massiv beeinflussen. Das heißt: Wir werden mehr neue Fachkräfte aber auch andere Qualifikationen brauchen.
In den nächsten Jahren wird daher der Bedarf an beruflicher Umorientierung und Job- und Branchenwechseln weiter zunehmen. Weiterbildung und Qualifizierung werden vor diesem Hintergrund die zentrale Antwort auf den Strukturwandel. Mein Ziel ist es, Weiterbildung noch stärker in den Mittelpunkt gesellschaftspolitischer Debatten und sozialpartnerschaftlicher Verhandlungen zu stellen.
2. Sie sprachen kürzlich in einem Interview von einem „Weg in die Weiterbildungsrepublik”. Was meinen Sie genau?
Heil: Dabei geht es darum, durch einen neuen Schub für berufliche Aus-, Fort- und Weiterbildung oder Neuorientierung allen und besonders auch jenen, die mitten im Berufsleben stehen, gezielte Angebote zu machen. Wir brauchen mehr Möglichkeiten für Auf- und Umstiege in allen Lebenslagen und Brücken in eine neue Arbeitswelt. Wir wollen für einen solchen Übergang Sicherheit geben, aber auch dazu ermutigen, Neues zu wagen.
3. Welches „Handwerkszeug” sehen Sie aktuell, um Menschen in Arbeit zu bringen? Reichen die vorhandenen Ansätze des Förderns bei Ausbildung, Weiterbildung und Qualifizierung aus oder braucht es weitere Förderungsmöglichkeiten?
Heil: Die Qualifikation entscheidet maßgeblich über die Beschäftigungschancen. So fällt die Arbeitslosenquote bei Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung rund sechs Mal höher aus als bei jenen, die eine Berufsqualifikation haben. Deshalb zielt die Förderung stark auf das Erreichen eines Berufsabschlusses. Beispielsweise werden wir die Prämien bei erfolgreich abgeschlossenen Zwischen- und Abschlussprüfungen entfristen und somit Motivation und Durchhaltevermögen der Teilnehmenden bei abschlussbezogenen Weiterbildungen stärken.
Darüber hinaus müssen wir die Zugangschancen zur Weiterbildung verbessern. Mir ist es ein großes Anliegen, dass unsere Maßnahmen verstärkt auf die Aufstiegschancen von geringqualifizierten Personen ausgerichtet werden. Zudem nehmen Frauen deutlich seltener an betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen teil als Männer.
Auch auf Seiten der Betriebe haben wir große Potentiale: Der Großteil der Weiterbildungsaktivitäten in Deutschland findet in großen Unternehmen statt. Kleinere Unternehmen, insbesondere KMU, bieten deutlich seltener Weiterbildungen an – dies wurde durch die Corona-Pandemie verstärkt. Dies möchten wir gemeinsam mit den Betrieben und den Arbeitgeberverbänden angehen. So werden wir beispielsweise durch den Ausbau von Weiterbildungsverbünden im Rahmen der Nationalen Weiterbildungsstrategie neue und innovative Wege der Organisation von beruflicher Weiterbildung in den Betrieben unterstützen.
4. Welche Rolle spielt dabei das gern von der Politik proklamierte „lebenslange Lernen”?
Heil: Ich möchte auf eine zukunftsorientierte Weiterbildungskultur hinarbeiten. Wir müssen heute qualifizieren und weiterbilden für die Arbeit von morgen. Damit möglichst viele Menschen Schritt halten können mit den Anforderungen der modernen Arbeitswelt, brauchen wir eine vorausschauende Weiterbildungspolitik und transparente Weiterbildungsstrukturen in Deutschland. Weiterbildung entlang der eigenen Berufsbiographie, lebensbegleitendes Lernen, muss selbstverständlicher werden. Wir müssen dafür sorgen, dass Deutschland den Weg in die Weiterbildungsrepublik geht. Wenn wir es nicht tun, werden wir einen tief gespaltenen Arbeitsmarkt haben. Und das kann sich unsere Gesellschaft nicht leisten.
5. Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang Kontrollmechanismen, Sanktionen und Mitwirkungspflichten?
Heil: Damit der Aufbruch in eine Weiterbildungsrepublik gelingt, bedarf es Kraftanstrengungen von verschiedenen Seiten. In den letzten Jahren haben Unternehmen und Sozialpartner bereits in einem hohen Maß Verantwortung für die Weiterbildung Beschäftigter übernommen. Zwar findet ein Großteil beruflicher Weiterbildungsaktivitäten in Betrieben statt. Jedoch zeigt sich, dass in Krisen wie der Corona-Pandemie die Weiterbildungsaktivitäten massiv eingebrochen sind. Das heißt: Das, was heute an Weiterbildung in den Unternehmen passiert, wird nicht ausreichen, um die Herausforderungen von morgen zu bewältigen. Wir müssen noch mehr in Qualifizierung und Weiterbildung investieren. Den Sozial- und Betriebspartnern kommt daher eine zentrale Rolle zu. Wir setzen hier auf Motivation und Befähigung – nicht auf Sanktionen. Übergreifend bin ich der festen Überzeugung, dass solche Sanktionen, die nicht helfen und Menschen unnötig verunsichern, abgeschafft gehören.
6. Was muss getan werden, um die Motivation zur Weiterbildung zu erhöhen – sowohl bei Beschäftigten, aber auch bei Arbeitgebenden?
Heil: Die Motivation unter Beschäftigen, an Weiterbildungen teilzunehmen, ist hoch. Ein zentraler Hinderungsgrund, an einer formalen Weiterbildung teilzunehmen ist jedoch mangelnde Zeit. Hier setzt beispielsweise unser Vorhaben einer Bildungs(teil)zeit an: Wir wollen eine Auszeit von bis zu einem Jahr (in Teilzeit bis zu zwei Jahren) ermöglichen, um sich weiterzubilden. Während der Bildungs(teil)zeit bieten wir Beschäftigten finanzielle Unterstützung für arbeitsmarktbezogene Weiterbildung. Unternehmen wollen wir Anreize für sozialpartnerschaftliches Handeln schaffen und ein Qualifizierungsgeld bei Betriebsvereinbarungen ermöglichen.
7. Was ist mit älteren Arbeitnehmenden, die sich weiterbilden möchten?
Heil: Weiterbildung ist auch für berufserfahrene, ältere Arbeitnehmende unverzichtbar. Daher wird die Weiterbildung von Beschäftigten ab 46 Jahren besonders gefördert. Es gibt hier keine Einschränkung auf Engpassberufe oder den Strukturwandel – eine Förderung der Weiterbildung ist für diese Beschäftigtengruppe grundsätzlich immer möglich. Damit haben wir den Fokus auf Berufserfahrene verstetigt.
8. Was unternimmt die Bundesregierung, um dem steigenden Fachkräftebedarf zu begegnen? Wie sollen ältere Mitarbeitende motiviert werden, länger ihr Knowhow im Berufsleben einzubringen?
Heil: Wir müssen heute dafür sorgen, dass auch in Zukunft ausreichend und passend qualifizierte Fachkräfte für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Wir haben uns daher vorgenommen, die Möglichkeiten für berufliche Neuorientierung, Aus- und Weiterbildung – auch in Teilzeit – zu verbessern. Darüber hinaus werden wir Maßnahmen ergreifen, um die Erwerbstätigkeit von Frauen weiter zu erhöhen. Auch Langzeitarbeitslose haben ein großes Potenzial, weshalb wir zum Beispiel das Nachholen eines Berufsabschlusses fördern. Und schließlich brauchen wir ergänzend Zuwanderung aus dem Ausland. Hierfür haben wir mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz eine gute Grundlage geschaffen.
9. Was sind die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Arbeitsmarkt?
Heil: Die Corona-Pandemie hat den Strukturwandel in einigen Branchen beschleunigt. Sie hat darüber hinaus schonungslos deutlich gemacht, dass viele Menschen, die dieses Land am Laufen halten, keine einfachen Arbeitsbedingungen haben – zum Beispiel in der Pflege, Logistik oder an der Supermarktkasse. Ähnlich wie schon im Jahr 2020 ist es uns aber wieder gelungen, den Arbeitsmarkt weitgehend zu stabilisieren. Ich bin sehr froh, dass wir es geschafft haben, in den vergangenen Wellen Millionen Arbeitsplätze zu sichern. Die Kurzarbeit ist dabei unsere stabilste Brücke über ein wirklich tiefes wirtschaftliches Tal.
10. Wie sehen Sie den deutschen Arbeitsmarkt in den nächsten Jahren?
Heil: Wir werden nach der Pandemie nicht einfach zur alten „Normalität“ zurückkehren. Und die Frage ist: Wie wollen wir in Zukunft arbeiten? Ein Blick auf die dynamischen Entwicklungen bei Schlüsseltechnologien wie Künstlicher Intelligenz oder der Wasserstofftechnologie deuten darauf hin, dass auch in den nächsten Jahrzehnten der Wandel unser beständiger Begleiter bleibt.
Einige Entwicklungen lassen sich bereits jetzt sehr gut prognostizieren: In Zukunft werden eine Vielzahl von Beschäftigten neue berufliche Perspektiven benötigen. Die Arbeit wird uns zukünftig nicht ausgehen. Aber es wird vielfach eine andere Arbeit sein, die andere Kompetenzen und Qualifikationen erfordert und die mit einer voranschreitenden Flexibilisierung der Arbeitswelt einhergeht. Wichtig ist mir: Auch in der Arbeitswelt der Zukunft soll der Mensch im Mittelpunkt stehen.
Hubertus Heil MdB
Bundesminister für Arbeit und Soziales
Weitere Informationen zu Hubertus Heil
auf der Website des BMAS

GASTKOMMENTARE
UNTERNEHMEN DER PERSONALDIENSTLEISTUNG HABEN AUFGRUND HOHEN REKRUTIERUNGSAUFWANDS KEINE ZEIT FÜR QUALIFIZIERUNG
Gastkommentar von Richard Hofmann
Was sich im ersten Moment anhört wie die Metapher vom Holzfäller, der „vor lauter Baumfällen nicht zum Axtschärfen kommt“, ist bei genauer Betrachtung des Sachverhaltes nachvollziehbar. Die Zeitarbeitsbranche ist eine der wichtigsten Rekrutierungsinstrumente der deutschen Wirtschaft. Durch Gesetzes- und Tarifanpassungen konnte die Branche der Zeitarbeit, spätestens als erfolgreichster Integrator während der Flüchtlingskrise, ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen. Auch in der Zeitspanne der Corona Pandemie sorgt die Zeitarbeit dafür, dass Betriebe und Mitarbeiter flexibel auf pandemisch bedingte Einschnitte in das Arbeitsleben reagieren können und somit Arbeitsplätze erhalten wurden sowie schnelles, unbürokratisches Handeln möglich gewesen ist – in Kombination mit den Kurzarbeitsregelungen ein extrem wichtiges Instrument.
Mit zunehmender Stabilisierung des Wirtschafts- und Arbeitsmarktes sowie der schrittweisen Rückkehr zu einem „normaleren“ Leben, trifft man nun wieder auf einen „alten Bekannten“ mit dem Namen: Fachkräftemangel. Dieser führt dazu, dass Unternehmen verstärkt bereit sind, Personaldienstleister als Rekrutierungsdienstleister zu beauftragen. Das grundsätzliche Problem dieses Fachkräftemangels wird somit letztendlich allerdings nur in der Perspektive verlagert.
Einige, wenige Unternehmen in der Zeitarbeitsbranche sowie deren Verbände haben die Chance erkannt, in einem Notstand eine Chance zu sehen, und das Geschäftsmodell, Personal zu vermitteln, um das Thema „Qualifizierung von Potenzialträgern zu Fachkräften“ erweitert. Wohl keine andere Branche ist besser über die benötigten Qualifikationen der Unternehmen und zugleich deren Mangel an Fachkräften informiert
als die der Zeitarbeitsbetriebe. Dieses Knowhow ist extrem wertvoll und ermöglicht es der Branche, in Kombination mit der Qualifizierung eine wichtige Schlüsselrolle im Arbeitsmarkt zu erlangen. Wichtig ist, dass diese Qualifizierungen in einen anerkannten Abschluss münden und somit tatsächlich von einer Fachkraft gesprochen werden kann. Die Bildungsangebote decken mittlerweile Facharbeiter, Kaufleute und Akademiker ab.
Ein Umsetzungs-Hemmnis mag sicherlich sein, dass Zeitarbeitsbetrieben aktuell entweder schlichtweg die Kenntnis über die Möglichkeiten für erfolgreiche Qualifizierungsmodelle oder der notwendige Optimismus fehlen. Dabei werden Risiken und Aufwände meist überschätzt, was aus einer Umfrage der add-on GRUPPE hervorgeht. Vergleicht man Investitionen für Rekrutierungsinstrumente, den generellen Zeiteinsatz sowie erfolgreich und teuer gewonnene, aber nicht wertschöpfend abzuarbeitende Kundenanfragen, relativiert sich das Bild sehr schnell. Man muss definitiv nicht mehr bei null anfangen, sofern man als Personaldienstleister Fachkräfte qualifizieren will. Für eine erfolgreiche Umsetzung gibt es neben gutem Rat bei Verbänden und fachkundigen Beratern auch massive Fördermöglichkeiten für eine Finanzierung sowie Kooperationsangebote.
Die Zeitarbeit ist extrem stark darin, auf Regulierungen, Krisen und generell unerwartete Situationen zu reagieren, bei denen man eigentlich keine oder nur minimale Vorbereitungszeit hat. Nun hat man aus der Notwendigkeit heraus die Chance, selbst zu agieren – eine eventuell ungewohnte Situation, allerdings auch eine lösbare. Ich traue den Zeitarbeitsbetrieben diese Transformation zu! Die Branche ist sehr wettbewerbsorientiert und das sehe ich als wichtigen und sportlichen Motivationsfaktor.
Richard Hofmann CEO
Add-on Personal & Lösungen GmbH
Nürnberg
